Auszüge aus Texten zum Werk Karl-Heinz Adlers:

Niels-Christian Fritsche: Angewandte Freiheit und intuitive Wissenschaft.
Die Patente, Methoden und Systeme von Karl-Heinz Adler

Karl-Heinz Adler übersetzt das Allround-Genie der Renaissance in unsere vom Konstruieren und Probieren faszinierte Gegenwart. Er kommt 1956 dem vor dreitausend Jahren im Vorderen Orient verloren geglaubten materialtechnischen Geheimnis der nilblau-persischen Fliese auf die Spur. Das „Kollektiv junger Wissenschaftler“ um Karl-Heinz Adler entwickelt dazu Silikatstein und ein keramisches Granulat. Ab 1963 entstehen weitere Reihen von patentierten Verfahren und Produkten. Nach 1968 wird das gemeinsam mit Friedrich Kracht entwickelte Betonformsteinsystem zu einem Fanal der heute so genannten Ostmoderne.
Karl-Heinz Adler verflechtet künstlerisches, baubezogenes, wissenschaftliches und pädagogisches Arbeiten. Adler dekliniert sein kosmologisches Interesse, sein Prinzip des Vereinfachens und seine unmittelbare Freude an stofflichen Wirkungen zu unterschiedlichen Werkserien. Die Balance zwischen dem Beschränken der gestalterischen Mittel und der opulenten technologischen Neugier zieht sich durch die gesamte Arbeit. Die Materialforschung, die „komplexe Umweltgestaltung“ und die konkrete Kunst des 20. Jahrhunderts werden zu einem durchgängigen OEuvre geflochten. Das OEuvre transzendiert das 20. Jahrhundert auf drei Arten: Der Silikatstein materialisiert die Fliese in der Architektur der Nachkriegszeit. Das Beton-Formstein-Programm erklärt das Ornament zur Substanz des Bauwerks. Die Farbschichtungen, die auch Schichtungen von Farbschichtungen heißen können, brechen das Tabu der malerischen Werkspur in der konkreten Kunst.

Bozena Kowalska: Zur Entwicklung und Vielfalt der Seriellen Lineaturen

Adler nannte diese – eine von den zwei wichtigsten – Formen seiner künstlerischen Aussage Serielle Lineaturen. Aber die gezeichnete Linie, mit der er Raum konstruiert, stellt für ihn mehr dar als nur „Aufbaumaterial“ für seine Kompositionen. Sie ist auch Träger von Bedeutungen sowie Wegweiser, der den Gedanken über das Sichtbare, Anfassbare und Messbare hinausführt: „Die Linie […] Ein Begriff für Endlosigkeit, aus dem Nichts kommend, in das Nichts gehend […] Die Linie – abstrakt und konkret, rational und irrational zugleich.“ Der Raum, den der Künstler mit seinen Linien kreiert, ist ein anderer als derjenige, den wir real erfahren. Er ist magisch, rätselhaft und beunruhigend. Er bringt uns existenzielle Grundfragen nahe: nach dem Anfang der Welt und ihrem Ende, nach Geheimnissen des Raums und der Zeit, und folglich – nach dem Sinn des Lebens und des Todes jedes einzelnen Menschen. Nicht ohne Grund sind Lineaturen – seriell. Die Veränderungen des Raumes in aufeinander folgenden Arbeiten einer Serie scheinen jede Beständigkeit des Seins infrage zu stellen. Und die visuellen Täuschungen, die diese Arbeiten hervorrufen, lassen die Glaubwürdigkeit der Sinneswahrnehmungen anzweifeln. Somit drücken sich in den Seriellen Lineaturen – wie übrigens im gesamten Werk von Karl-Heinz Adler – der stetige Wechsel aller Seinsformen und die Relativität aller Sinneseindrücke aus.

Eugen Gomringer: Farbschichtungen

Weitet man den Blick über das von Karl-Heinz Adler geschaffene Phänomen Farbschichtung hinaus, sieht man deren Einbettung im Großraum der konstruktiv-konkreten Kunst, zu der er sich auch bekennt. Ihre Kennzeichnung ist und bleibt bei aller Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen das rationale Konzept. Die Befreiung der Farbe, die sich im Zug der Abwendung vom Gegenstand der Außenwelt einstellte, ist mit ihrer eigenen Entwicklung befasst. Das wird im Vergleich mit der Malerei von Karl-Heinz Adler deutlich. Auch wenn es für ihn ein befreiender Akt war, für die Farbschichtungen die malende Hand einzusetzen, so ist es dennoch klar, dass er das Farbmalen auf ein Liniensystem einstellte, das für die Schichtungen der Farbe leitend wurde. Die Intensität der Farbe folgt der Verengung bzw. Erweiterung des Liniensystems. Die Aufteilung des Bildraumes in zwei oder mehr Teilstücke und ihr versetztes Aneinanderfügen macht irritierend deutlich, dass die Liniennetze in jeder Hinsicht für den relationalen Aufbau verantwortlich sind.
Der neue Bildtypus von Karl-Heinz Adler hat in der konstruktiv-konkreten Kunst nicht seinesgleichen, vor allem deshalb nicht, weil er eine folgerichtige Entwicklung seit Beginn seiner künstlerischen Gestaltung überhaupt darstellt. Er ist dadurch zu einem grundsätzlich neuen Ansatz in dieser Kunst geworden, die solche Erweiterungen im Experimentellen und Forschen dringend benötigt. Im Übrigen bestätigt sich dieser Eindruck durch das oft noch weniger bekannte skulpturale Werk von Karl-Heinz Adler. Schichtungen und lineare Grundbewegungen geben auch monumenalen Erscheinungen gestalterische Verantwortung.